Was kann ich tun bei Erschöpfung und Depression im Homeoffice? Wie überstehe ich die Corona-Zeit?

Mir gefällt Katharina Noldens Begriff „Corona-Kompetenz“ zusammen mit ihrem Artikel dazu [Link] sehr gut. Wie bei der „Risikokompetenz“ von Gerd Gigerenzer [Link] können wir wichtige Bewältigungsmechanismen sammeln, um plötzliche Ereignisse, von denen wir uns bedroht fühlen, besser zu bewältigen.

Die Sars-CoV2 Welle ist, wie Gigerenzer es nennt, ein „Schockrisiko“, das uns plötzlich wachrüttelt und bei dem wir unvermittelt sehr viel Aufmerksamkeit schenken, weil in einem kurzen Zeitraum viele Menschen zusätzlich sterben. Zusätzlich müssen wir momentan in kurzer Zeit viele Veränderungen durchmachen.

 

Das alles macht sehr vielen Menschen Angst. Und es ist ohnehin normal unter diesen Bedingungen Angst zu haben.

Die Geschwindigkeit der Veränderungen in diesen Wochen plus das permanente Dauerfeuer von Nachrichten sorgen bei vielen Menschen zusätzlich zur Angst für starke Erschöpfung bis hin zu Symptomen, wie man sie bei einer Depression findet.

 

Viele Kopfarbeiter finden sich auf einmal im Homeoffice wieder, nehmen an digitalen Konferenzen teil, können am bisher normalen Leben nicht mehr teilnehmen. Manche haben davon immer schon geträumt, weil sie den Rückzug brauchen – Andere leiden unter dem Verlust des sozialen Miteinanders.

Es ist in diesem März 2020 – und wahrscheinlich darüber hinaus – ganz normal, ängstlich und erschöpft zu sein. Genauso normal ist es, sich vom „Hamstervirus“ anstecken zu lassen, wenn man über längere Zeit immer wieder an leeren Regalen für Toilettenpapier, Nudeln, Mehl, etc. vorbeigeht und dann plötzlich mal wieder Nachschub sieht.

So normal all diese Reaktionen sind, so wichtig ist es, sie zunächst anzunehmen, weil Akzeptanz ein wichtiger Faktor der Resilienz, der psychischen Widerstandskraft, ist. Die Akzeptanz führt zur inneren Ruhe, damit zu einem klaren Kopf und zu der Chance rational mit der momentanen Lage umzugehen.

Die Ruhe und Entspanntheit öffnet Möglichkeiten, hilfreichere Denk- und Verhaltensmuster zu finden.

Müde und niedergeschlagen im Homeoffice

Viele Menschen erleben nun immer wieder Momente von Niedergeschlagenheit (Dysphorie), Energielosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Ohnmacht uvam. Manchmal auch mit starken, ungewohnten, Wechseln zwischen Euphorie und Dysphorie. Auch, wenn sie Arbeit im Homeoffice schon gewohnt sind. Ein Tweet dazu ist mir besonders aufgefallen, da er auch viele gute Beispiele von „coping“ (Bewältigung) enthält: [Link]

Wenn Menschen zu mir kommen und Hilfe suchen, weil sie die Bewältigung nicht schaffen und unter ihrem Erleben leiden, kommt in solchen Fällen oft die Diagnose einer Anpassungsstörung dabei heraus.

Im „Katalog der psychischen Störungen“, dem ICD-10, sind die Anpassungsstörungen beschrieben, als:

„Zustände von subjektiver Bedrängnis und emotionaler Beeinträchtigung, die im Allgemeinen soziale Funktionen und Leistungen behindern und während des Anpassungsprozesses nach einer entscheidenden Lebensveränderung oder nach belastenden Lebensereignissen auftreten.“

und:

„Hervorstechendes Merkmal kann eine kurze oder längere depressive Reaktion oder eine Störung anderer Gefühle und des Sozialverhaltens sein.“

Das kann zum Beispiel auch eine Trauerreaktion sein. Also auch etwas, das ganz normal zu unserem Leben dazu gehört. Insofern ist der Begriff „psychische Störung“, der in vielen Menschen Abwehrreaktionen hervorruft („Ich bin doch nicht verrückt!“), in ein anderes, „normaleres“, Licht zu rücken.

Was hilft nun akut und konkret?

1) In einem Seminar habe ich eine einfache Formel gehört: Angst x Widerstand = Leid. Das lässt sich aus meiner Erfahrung auf viele belastende Emotionen verallgemeinern. Nimm Dein Erleben erstmal an, gib den Widerstand dagegen auf. Ich vergleiche das gern mit einer Situation im Stau auf der Autobahn. Egal, ob ich mich aufrege und tobe, es ändert an der Tatsache nichts, dass ich feststecke, fühlt sich aber nicht gut an. Wenn ich die Situation annehme, kann ich selber dafür sorgen, dass ich den Stau besser, leichter, erleben kann.

2) Sorge für aktive Entspannung. Nur ein bewusster Atemzug ist der erste wichtige Schritt. Schließ die Augen und Atme tief in den Bauch rein. Und atme bewusst wieder aus. Mach eine Mini-Meditation [Link] oder eine Boxatmung (s.u.)

3) Schreibe Deine Gedanken, die Dich belasten, die Dir unangenehme Gefühle machen, und schau Sie Dir in Ruhe an. Nutze die Fragen von „The Work“ (s. Katharina Noldens Artikel) oder mache 3-5 Runden dieser erweiterten Hinterfragung (s. Arbeitsblatt unten):

  • Zu wie viel Prozent bin ich von dem Gedanken überzeugt?
  • Ist der Gedanke wahr? Wenn ja, zu wie viel Prozent ? Nenne dann bitte 2 Beweise warum er wahr ist. Ist der Gedanke nur zu weniger als 90% wahr, weiter mit der nächsten Frage.
  • Ist der Gedanke hilfreich? Wenn ja, zu wie viel Prozent? Nenne dann bitte 2 Beweise warum er hilfreich ist. Ist der Gedanke nur zu weniger als 90% hilfreich, weiter mit der nächsten Frage.
  • Was könnte ich besser/alternativ denken? Und wie fühle ich mich damit?


Wichtig: Wann immer Du Widerstand spürst oder nervös, unruhig, traurig oder ängstlich wirst, unterbreche das Stress-Muster und sorge erst wieder für Entspannung. Am besten mit dem X-Prozess [Link].

Erklärung: Wir leiden sehr oft darunter, dass „wir unsere Gedanken glauben“ – wir halten unser Kopfkino für wahr, obwohl es nicht mit der objektiven Realität übereinstimmt. Diese Gedanken lösen Gefühle aus, die wir als belastend erleben. Oft ist uns ohne Übung gar nicht klar, was ein Gedanke ist und was ein Gefühl. Dabei hilft Dir obige Übung, die ich auch in meiner Arbeit oft verwende.

Wenn Du merkst, dass Du mit dieser Anleitung alleine nicht weiter kommst und Unterstützung beim Ausführen dieser Übung brauchst, ruf mich an, damit wir einen Termin vereinbaren können:  01523 824 5200

4) Lies weitere Artikel, die Dir im Homeoffice praktisch helfen. Mit Tipps zur Tagesstruktur, zu Ritualen, zum sozialen Miteinander, zur Bewegung, zur Abgrenzung, zur Konzentration.

Boxatmung

  • Fülle Deine Lunge durch langsames tiefes Einatmen durch die Nase komplett mit Luft und zähle dabei langsam bis vier. Atme dabei nicht nur über die Brust ein, sondern auch über das Zwerchfell, so dass sich der Bauch hebt
  • Halte die Luft für vier Sekunden an.
  • Lass die Luft über die Nase langsam wieder aus der Lunge fließen und zähl dabei bis vier.
  • Halte die Luft wieder vier Sekunden an.
  • Wiederhole dies 4 Mal.

 

Wenn Du Fragen hast oder konkret Unterstützung brauchst, nimm am besten gleich Kontakt zu mir auf.

 

Du kannst ab sofort und in kleinen Schritten Deine Situation positiv beeinflussen.

 

Alles Gute auf Deinem Weg aus Angst und Erschöpfung in diesen schwierigen Zeiten.

 

Dein

 

Mario Hauff

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Übungsbogen mit Beispiel zur vertieften Hinterfragung eines belastenden Gedankens.
Dieser Arbeitsbogen hilft Dir bei oben genannter Übung. Die zweite Seite des Dokuments enthält ein schlichtes Beispiel.
MH-angstl-Klienten-Hinterfragung-v1.1.pd
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